Die Komponistin Anina Keller im schriftlichen Gespräch mit Nanni Jelinek

Nanni Jelinek: Liebe Anina, ich freue mich sehr, dass wir uns zu diesem Beitrag „zusammengeschrieben“ haben!

Anina Keller: Vielen Dank, liebe Nanni, für die Idee, die Einladung und die gemeinsame Umsetzung!

Was und wann war deine erste Komposition?
Als ich mir mit 16 Jahren eine E-Gitarre kaufte und in einer Rockband mitspielte, begann ich auch, mich mit Songschreiben zu beschäftigen. Für mich sind das so die ersten ernsthaften kompositorischen Gehversuche. Die ersten klassischen Kompositionen entstanden dann später während meinem Studium der klassischen Gitarre. Ich hatte einen sehr guten Theorielehrer, bei dem wir Bachchoräle und Lieder im Stile von Schubert für Klavier komponieren mussten, was mir anfangs schier unmöglich schien, aber unheimlich lehrreich war. Anschliessend wagte ich die ersten Kompositionen für Gitarre solo und auch Mandoline und Gitarre duo. Wobei ich gestehen muss, dass die Kompositionen für Gitarre solo zumeist unspielbar schwierig ausfielen und es nie zu einer Aufführung eines solchen Werkes kam. Die erste Komposition für Zupforchester schrieb ich im Jahr 2007 für das Mandolinenorchester Uznach, welches ich damals leitete.


Welche Einflüsse prägen deine klassischen Kompositionen?
Mein Ziel beim Komponieren für Zupforchester ist es, dass die Stücke einerseits spannend zum Spielen für alle Instrumente und andererseits gut hörbar für die Zuhörer:innen sind. Ich bin ja keine ausgebildete, diplomierte Komponistin, sondern schreibe letztendlich, was ich in allen Stimmen gerne spielen und als Zuhörerin gerne hören würde.
Letztendlich beeinflusst alles, was man selber gerne spielt und hört und alles, was man je gelernt hat, das eigene Komponieren. Auf der klassischen Gitarre liebte ich das Spielen von Werken von Barrios, Tarrega, Rodrigo oder Torroba. Die Melodien voller Sehnsucht und Melancholie, gepaart mit spanischen und südamerikanischen, groovigen Rhythmen begeistern mich bis heute. Zudem habe ich lange mit der E-Gitarre in Rock- und Gothic-Metalbands gespielt und dafür Songs und Solis geschrieben. All diese Einflüsse hört man meinen Kompositionen sicherlich auch mal mehr, mal weniger an.
An dieser Stelle muss ich eine Lanze für die Musikrichtung Metal mit all seinen Varianten brechen: Tatsächlich ist gerade der Gothic Metal nicht so unklassisch wie man sich denken mag, sondern ist im Gegenteil in vielen Elementen sehr stark von der Klassik geprägt.

Woher kommen deine Inspirationen?
So banal es klingt kommt die Inspiration oft einfach aus dem Alltag. Als ich zum Beispiel «Helvetica» komponierte war ich mit meinem damals noch sehr kleinen Sohn häufig an Bahnhöfen unterwegs, da er gefühlt stundenlang den vorbeifahrenden Zügen zuschauen konnte. Ich hörte dabei den Rhythmen zu, die die verschiedenen vorbeifahrenden Züge zusammen erzeugten und deren Vielfalt wurde zur Musik. Das inspirierte mich letztendlich auch zum zweiten Satz von «Helvetica».
Vielfach ist es aber auch andere Musik, welche einen zu neuer Musik inspiriert. Wahrscheinlich hat man alles, was man komponiert, auch schon mal in irgendeiner Form bewusst oder unbewusst irgendwo gehört. Durch die eigene Komposition setzt man letztendlich Teile von bereits existierender Musik wieder neu zusammen.

Wie würdest du deinen Kompositionsprozess beschreiben? Ist alles auf einmal da, entwickeln sich die Stimmen nacheinander über eine Melodie oder kann am Anfang auch mal nur ein cooler Rhythmus stehen?
Das kann sehr verschieden sein. Häufig setze ich mich mit einem Instrument hin, probiere aus und lasse Ideen entstehen. Gerade wenn ich dies mit der Gitarre mache, dann entsteht häufig zuerst ein Rhythmus und erst anschliessend werden die Oberstimmen darauf aufgebaut. Manchmal schwebt mir aber auch ein ganzes Klangbild vor, eine einzelne Melodie oder ein Motiv, welches in verschiedenen Stimmen wiederkehrt. Ich setzte mich ans Instrument, entwickle die Musik weiter und schreibe sie nieder.
Wenn ich begonnen habe, ein neues Werk in Noten zu fassen, höre ich innerlich immer und überall diese Musik. Es ist dann auch gut möglich, dass mir beim Radfahren auf dem Weg ins Büro die zündende Idee kommt und ich genau weiss, wie die Musik nun weitergehen soll.

Kannst du dir das Zusammenspiel der Stimmen schon im Kopf vorstellen? Hörst du die Stimmen vor deinem inneren Ohr?
Ich stelle mir vor bzw. höre vor meinem inneren Ohr, wie das Werk oder ein Ausschnitt als Gesamtes klingen soll. Manchmal höre ich also innerlich, wie eine Gegenstimme oder wie ein gesamtes Stimmungsbild klingen soll. Aber es ist vielmehr der Gesamtklang oder das Klangbild, das ich mir vorstelle, und nicht schon jede einzelne Stimme. Manchmal weiss ich, welche Akkorde oder Rhythmen ich dazuschreiben muss, dass es auch in Wirklichkeit wie in meiner Vorstellung erklingt. Manchmal probiere ich aber auch einfach auf den Instrumenten aus, bis es so klingt wie ich es mir vorstelle, oder bis ich etwas anderes gefunden habe, was mir gefällt.
Zu guter Letzt gibt es in den Notationsprogrammen auch eine Abspielfunktion und auch wenn es nicht wirklich nach richtigem Zupforchester klingt, so kann es gut als zusätzliche Korrekturhilfe genutzt werden.

Ich schätze als ehemalige Gitarristin sehr, dass auch die Gitarre immer mal wieder schöne Melodien spielen darf.
Mir ist es tatsächlich sehr wichtig, dass auch die vielen guten Gitarrist:innen in den Orchestern nicht zu kurz kommen. Die Gitarre wird in den Kompositionen für Zupforchester oftmals ziemlich stiefmütterlich behandelt. Das war tatsächlich auch der Grund, warum ich begonnen habe, für Zupforchester zu komponieren. Damals leitete ich das Mandolinen- und Gitarrenorchester Uznach, in dem es einige gute Gitarristinnen hatte, welche immer nur geschlossen begleiten «durften». Da es schwierig war, geeignete Literatur zu finden, habe ich selber begonnen, Stücke mit zwei Gitarrenstimmen und Melodiespiel in der Gitarre für dieses Orchester zu schreiben und zu arrangieren.

Was ist für dich die grösste Schwierigkeit beim Komponieren?
Mir fällt es tatsächlich immer sehr schwer, einen Titel für eine Komposition zu finden. Vielleicht hätte ich damals einfach mit Opus 1 beginnen sollen…

Und wann ist eine Komposition für dich fertig? Wenn ich Texte schreibe und unendlich Zeit hätte, würden sich meine Texte vermutlich über die Zeit sehr verändern. Wäre das bei deinen Kompositionen auch so?
Ja, das Problem kenne ich nur zu gut. Beim letzten Probewochenende von zupf.helvetica haben wir «Helvetica» gespielt und ich würde tatsächlich heute gerne einige Stellen umschreiben.
Irgendwann muss man mit der Komposition, gleich wie bei einem Text, zu einem Ende kommen. Die Komposition muss sich selbst überlassen und in die Hände der Musizierenden gegeben werden. Es gibt immer etwas, dass noch geändert werden könnte und man wird nie das perfekte Endresultat für die Ewigkeit finden. Eine Komposition ist letztendlich einfach ein Einfangen einer Momentaufnahme von Musik.
Ich verlasse mich hier auch auf die Dirigent:innen und Spieler:innen meiner Werke und ihnen sei versichert, dass sie sich die künstlerische Freiheit herausnehmen sollen, die Musik anzupassen, die ihnen im Moment des Spielens anders besser gefällt.

Für welche Instrumente würdest du auch mal gerne etwas komponieren?
Ein Werk für grosses Symphonie-Orchester, das wäre was!

Arbeitest du schon mit einem Verlag zusammen oder ist das ein Ziel von dir?
Ich habe vor einigen Jahren bei mehreren Verlagen angefragt und stets die Antwort erhalten, dass keine Kompositionen von «neuen» Komponisten verlegt werden können. Mir wurde gesagt, dass es seit Corona für die Verlage noch um Einiges schwieriger geworden ist. Letztendlich ist es mir einfach ein Anliegen, dass vor allem meine Werke für Zupforchester irgendwo erhältlich sind. Deshalb habe ich eine eigene Homepage erstellt: www.aninakeller.ch. Hier können die Werke angesehen und direkt bei mir bestellt werden.

Wann gibt es den nächsten echten «Keller» zu hören?
Das Orchester zupf.helvetica ist einen brandneuen «Keller» am Einstudieren: «il burattino». Vielleicht wird das Werk an einem der Probewochenenden im nächsten Frühling sogar schon aufgeführt.
«Helvetica» wird diesen Herbst als Geschenk vom Berner Zupforchester auf grosse Reise zum Zupforchester nach Rom mitgenommen werden und wer weiss, vielleicht wird es bald einmal in Italien zu hören sein. Das wäre mir eine riesengrosse Ehre!

 

Anina, ich danke dir für die super spannenden Antworten! Und freue mich schon, bald wieder etwas Neues von dir zu hören.

Mehr Informationen zu Anina findet ihr unter www.aninakeller.ch!!!